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01.09.2010 15:15

„Autonome Nationalisten“: Neonazis modernisieren ihr Auftreten

Dr. Josef König Pressestelle
Ruhr-Universität Bochum

    Mobilisation zum „Antikriegstag“ am 4.9. in Dortmund
    Bochumer und Düsseldorfer Forscher studieren die Szene

    Mit den altbekannten Glatzköpfen haben die „Autonomen Nationalisten“ nicht mehr viel gemeinsam. Schwarz gekleidet mit Sonnenbrillen und Baseball-Caps werden sie bei der vermeintlichen Antikriegstagsdemonstration am 4. September in Dortmund Parolen skandieren wie „Gegen Krieg und Kapitalismus“ und „gegen Imperialismus“. Es sind jedoch weder Linke noch Pazifisten, sondern junge Neonazis, die sich nicht nur in ihrem Äußeren an der radikalen Linken orientieren,

    sondern auch mit der provokativen Selbstbezeichnung als „Autonome Nationalisten“ Bezug nehmen auf die linken Autonomen und deren militantes Selbstverständnis. Ein Ausdruck von Modernisierungstendenzen innerhalb der Neonazi-Szene mit Sogwirkung für die neue Generation der Szene – zu diesem Schluss kommen die Rechtsextremismusforscher Jan Schedler (RUB) und Alexander Häusler (FH Düsseldorf). Ihr Sammelband „Autonome Nationalisten. Neonazis in neuem Gewand“ erscheint demnächst im VS Verlag.

    Phänomen „Autonome Nationalisten“

    „Unter dem Label ‚Autonome Nationalisten’ versucht die Neonaziszene, sich durch Adaption linker Codes und Inszenierungsformen ein neues Gesicht zu geben“, erklärt Jan Schedler, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fakultät für Sozialwissenschaft der Ruhr-Universität. „Durch diese Aneignung unterschiedlicher jugendkultureller Stilmittel verspricht sich diese Szene neue Attraktivität und Anziehungskraft auf die junge Generation.“ In den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerieten die „Autonomen Nationalisten“ seit ihrem gewalttätigen Auftreten bei einer Mai-Demonstration in Hamburg 2008 anlässlich des „Tags der Arbeit“. Sie versuchen, historische Gedenktage der Friedens- und der Arbeiterbewegung nationalistisch und revisionistisch umzufunktionieren in einen neonazistischen Event.

    Umdichtung der Geschichte

    Ein Blick in den Inhalt der neonazistischen Propaganda zum „Nationalen Antikriegstag“, den die Neonazis am 4.9. schon zum sechsten Mal in Folge für einen Aufmarsch nutzen wollen, offenbart den Sinn dieser historischen Umdeutungsversuche: Nazi-Deutschland soll ebenso zum Opfer „alliierter Verbrechen“ umgedichtet werden, wie das Nachkriegsdeutschland als Opfer vermeintlicher „Siegerjustiz“ und „amerikanisch-jüdischer Interessen“. Kriegsrevisionismus und offener Antisemitismus sind der Inhalt eines sich als „nationaler Antiimperialismus“ inszenierenden „Befreiungskampfes“. Solidaritätsbekundungen für den palästinensischen „Befreiungskampf“ und den Iran dienen als Projektionsfolie für Antiamerikanismus und Antisemitismus. „Im Kern geht es den ‚Autonomen Nationalisten‘ darum, zentrale Ideologieelemente des Nationalsozialismus mit Blick auf gegenwärtige Feindbilder und Ressentiments zu aktualisieren, um sich auf diese Weise neue Zielgruppen zu erschließen“, so Alexander Häusler, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Arbeitsstelle Neonazismus der Fachhochschule Düsseldorf. Die „Autonomen Nationalisten“ versuchen, Deutungskämpfe um politische Themenfelder zu führen, die traditionell von der Linken besetzt sind. „Mit den gewandelten Darstellungsformen verfolgen sie eine Strategie der Dekontextualisierung, indem sie in der Vermittlung ihrer politischen Ziele gezielt versuchen, diese von ihren historischen und ideologischen Zusammenhängen zu entkoppeln“, so Jan Schedler.

    Antikriegstag

    Am 1. September begann vor 71 Jahren der Zweite Weltkrieg mit dem Überfall des nationalsozialistischen Deutschland auf Polen. 1957 wurde dieser Jahrestag erstmalig von pazifistischen, antimilitaristischen und linksorientierten Gruppen zum Antikriegstag erkoren. Seitdem wird alljährlich an diesem Tag der Opfer des Krieges und der nationalsozialistischen Verbrechen gedacht. Der Deutsche Gewerkschaftsbund beschloss 1966, den 1. September als Tag des Bekenntnisses für den Frieden und gegen den Krieg zu begehen.

    Kampf um Geländegewinn

    Seit sechs Jahren versucht die Neonaziszene jetzt bereits, anlässlich dieses Antikriegtags die Stadt Dortmund zum Schau- und Aufmarschplatz einer revisionistischen Geschichtsumdeutung zu machen. Die antimilitaristische und antifaschistische Tradition dieses Gedenktages soll umgedeutet und durch Umbenennung in einen „Nationalen Antikriegstag“ zu einen neonazistischen Aufmarschritual umfunktioniert werden. „Mit Propagandavideos im Internet, Mobilisierungsveranstaltungen quer durch Nordrhein-Westfalen und in anderen Bundesländern werben die Neonazis für dieses Event“, beschreibt Alexander Häusler. In der Stadt selber werden massiv Aufkleber und Flyer verteilt sowie vor Schulen und in speziellen Stadtteilen zur Teilnahme mobilisiert. Auf der anderen Seite häufen sich seit Jahren die gewalttätigen Angriffe auf auserkorene politische Gegner und so genannte Volksfeinde. „Mittels Propaganda und Gewalt wird um politischen wie um örtlichen Geländegewinn gerungen“, so Alexander Häusler. „Dortmund ist unsere Stadt“ lautet der Titel eines neonazistischen Propagandavideos.

    Sogwirkung auf neue Neonazi-Generation

    „Mit ihren Inszenierungen als neue und moderne Neonazis üben die ‚Autonomen Nationalisten’ eine Sogwirkung auf die neue Generation dieser Szene aus“, so das Fazit der Forscher. „Das Spiel mit unterschiedlichen jugendkulturellen Codes und Ausdruckformen ist mittlerweile stilprägend geworden für das gesamte neonazistische Lager.“

    Titelaufnahme

    Autonome Nationalisten. Neonazis in neuem Gewand. Hg. von Jan Schedler und Alexander Häusler. VS Verlag, Erscheinungstermin: 12/2010, ISBN-10: 353117049X, ISBN-13: 978-3531170497

    Weitere Informationen

    Dipl.-Soz.Wiss. Jan Schedler, Fakultät für Sozialwissenschaft der Ruhr-Universität, 44780 Bochum, Tel.: 0234/32-27133, E-Mail: jan.schedler@rub.de

    Dipl.-Soz.Wiss Alexander Häusler FB Sozial. u. Kulturwissenschaften der Fachhochschule Düsseldorf, Universitätsstr. 1, 40225 Düsseldorf, Tel.: 0211/81-11491 /-14625, E-Mail: alexander.haeusler@fh-duesseldorf.de

    Redaktion: Meike Drießen


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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