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26.04.2010 12:27

Griechenland-Hilfe grundlegend verfehlt

Michael Kroemer Pressestelle
Bergische Universität Wuppertal

    Wenn die EU in der vorgesehenen Form ein Rettungspaket für Griechenland durchzieht, geraten EU und Eurozone auf eine abschüssige Bahn. Einer Implosion der Eurozone würde ein EU-Zerfall folgen. Davor warnt der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Paul J.J. Welfens, Experte für Europäische Wirtschaftsintegration und Präsident des Europäischen Instituts für Internationale Wirtschaftsbeziehungen.

    Welfens schreibt: Weniger die Schuldenquote von 120% ist Auslöser der Griechenlandkrise, sondern die jahrelangen statistischen Falschmeldungen des Landes der berühmten Mathematiker Pythagoras und Thales. Wer als Schuldner seine Glaubwürdigkeit selbst durch Falschangaben beschädigt, handelt verantwortungslos. Diese Kritik muss auch die Europäische Kommission endlich einmal klar formulieren. Großbritannien hat man in der Griechenland-Stabilisierung bislang überhaupt nicht einbezogen – ein Fehler der Europäischen Kommission, aber auch Deutschlands. Großbritannien kann sich als Trittbrettfahrer die Problemlösungen zu Griechenland passiv anschauen – das ist unverantwortlich und unfair. Angesichts ähnlicher Probleme in Spanien, Portugal und Irland wie in Griechenland ist ein Hilfspaket für ein einziges Land sowieso verfehlt. Die Lösung des Griechenland-Problems müsste anders aussehen: Mindestens notwendig ist ein 6jähriges Stabilisierungsprogramm mit parallelem Kreditprogramm. Dabei sind zwei tilgungsfreie Jahre unerlässlich, um einen ökonomischen Absturz zu vermeiden. Die privaten Gläubiger sollte man in eine Lösung einbeziehen, d.h. das diese einen Beitrag zur Problemlösung durch Forderungsverzicht leisten sollten. Hier kann die staatliche Kapitalbeteiligung an vielen Banken ein guter Ansatzpunkt sein, entsprechend Druck bei Großbanken auszuüben. Schließlich rettet die Staatengemeinschaft die Griechenlandforderungen von Banken in der EU!

    Im Windschatten der Transatlantischen Bankenkrise verlangen die Kapitalmärkte höhere Risikoprämien als noch 2007, und zugleich ist durch die Weltrezession und das Erfordernis staatlicher Beteiligungen an konkursgefährdeten Großbanken die Kreditnachfrage aller EU-Länder in 2010/2011 gestiegen. Griechenland hat zudem mit einer Serie von massiven Revisionen bei der Defizitquote nach oben das Vertrauen der Anleger und der internationalen Politik enttäuscht. Ein internationaler Hilferuf des Landes wurde angesichts der immer höheren Risikoaufschläge bzw. der auf über 120% angestiegenen Schuldenquote bzw. der hohen Auslandsverschuldung – anders als im Fall Japan mit einer Schuldenquote von fast 200%, der allerdings auch hohe Risiken enthält – unvermeidlich.

    Die Konstruktion eines Hilfspaketes der Länder der Eurozone für Griechenland bietet zu relativ günstigen Zinssätzen eine dreijährige Atempause für Athen, wobei nur für das erste Jahr der Kreditbetrag feststeht. Der IWF wird Griechenland bestimmte Anpassungsbedingungen auferlegen, die eine finanzpolitische Stabilisierung erbringen sollen. Es ist aus EU-Sicht durchaus bequem, dass der IWF einem EU-Mitgliedsland Anpassungsmaßnahmen aufbrummt. Im Übrigen haben Bundesregierung und Europäische Kommission ebenso wie Griechenland viele Monate ohne Konzept auf Zeit gespielt, wo doch schon in 2009 klar war, dass das Land und einige andere Eurozonen-Länder im Zuge einer Rückkehr zu normalen Risikoprämien Hilfe brauchen werden; schließlich waren die Risikoprämien 2003-2007 weltweit unnormal wegen sonderbarer Finanzinnovationen bzw. durch US-Finanzalchemisten bedingt – mit Goldman Sachs an der Spitze in Sachen Griechenland – zu niedrig.

    Die ganze Konstruktion des Paketes für Griechenland ist grundlegend verfehlt, und überhaupt wird zu wenig beachtet, dass weniger die Schuldenquote von 120% der Auslöser der Griechenlandkrise ist, sondern die jahrelangen statistischen Falschmeldungen des Landes, wo einst berühmte Mathematiker wie Pythagoras und Thales lebten. Wer als Schuldner seine Glaubwürdigkeit selbst durch Falschangaben beschädigt, handelt verantwortungslos. Diese Kritik muss auch die Europäische Kommission einmal klar formulieren.

    Zur Kritik am Griechenland-Hilfspaket: Erstens ist der IWF für die Finanzierung von Zahlungsbilanzproblemen zuständig, nicht für die von Staatsdefiziten. Man kann nur mit Einschränkung den IWF sinnvoll aktivieren, ohne die Organisation zu beschädigen. Griechenland hat ein großes Leistungsbilanzdefizitproblem; allerdings weniger gegenüber Drittländern als vielmehr gegenüber den Ländern der Eurozone. Die Leistungsbilanzquote betrug 2004 -5,8%, 2008 -14,6%, was zeigt, dass Griechenlands Konsum viel zu hoch ist, die Wettbewerbsfähigkeit zu gering. Kalifornien kann auch nicht den IWF anrufen, wenn der Bundesstaat gegenüber anderen US-Bundesstaaten ein Leistungsbilanzdefizit hat und zugleich ein Defizit im Staatshaushalt besteht. Hier ist aber schon ein wichtiger Unterschied, weil Kalifornien keine dauerhaften Defizite verzeichnen darf, also Defizite über Ausgabenkürzungen und Steuererhöhung sowie wachstumsförderliche Reformmaßnamen und Ausgabenumschichtungen anzugehen hat.

    Der richtige Weg aus der Krise besteht aus Steuererhöhungen und Maßnahmen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Während Deutschland und die Europäische Kommission offenbar Vorgaben Richtung Haushaltskonsolidierung in Griechenland geben, ist notwendiger Druck gerade der EU hinsichtlich einer Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit weitgehend unterblieben. Die Kommission hat in ihrer Lissabon-2010-Agenda, wo doch die internationale Wettbewerbsfähigkeit ein Hauptthema war, zu wenig auf die Stärkung dieser Dimension gerade in den Ländern mit hohen Schuldenquoten und hohen Defiziten der Leistungsbilanz geachtet.

    Zweitens, von der Gläubigerstruktur her lauten Griechenlands Hauptgläubiger-Länder Frankreich, Deutschland, Großbritannien – sie stehen für gut die Hälfte der Forderungen; es sind vor allem Banken und Fonds aus diesen Ländern, die Anleihen Griechenlands erworben haben. Großbritannien hat man aber in Fragen der Griechenland-Stabilisierung bislang überhaupt nicht einbezogen. Das ist ein Fehler der Europäischen Kommission, aber auch Deutschlands; Großbritannien kann sich als Trittbrettfahrer die Problemlösungen zu Griechenland passiv anschauen – das ist unverantwortlich und unfair.

    Ohnehin gilt: Ein geeigneter Hilfsrahmen in Brüssel ist nicht die Eurozone, sondern sind die EU-Länder insgesamt. Wenn sich EU-Länder, die Nicht-Mitglieder der Eurozone sind, nicht an einem Hilfspaket für ein EU-Land beteiligen, dann ist das ein Signal für die Länder der Eurozone, sich eines Tages als Neu-EU zu verselbstständigen. Alle EU-Verträge über Solidarität der EU-Mitgliedsländer sind das Papier nicht wert, auf dem sie stehen, wenn ein EU-Land im Krisenfall nicht auf die Hilfe aller Partnerländer vertrauen kann.

    Drittens: Angesichts ähnlicher Probleme in Spanien, Portugal und Irland wie in Griechenland ist ein Hilfspaket für ein einziges Land verfehlt. Ein funktionsfähiges Hilfspaket bestünde in einer von der Europäischen Investitionsbank zu platzierenden Euro-Anleihe in Höhe von etwa 60 Mrd. €, wobei die EIB bei einer Kreditvergabe von 30 Mrd. € an Griechenland teilweise griechische Staatsschuldtitel – mit einem Abschlag – in ihr Portfolio übernimmt, zum anderen die Erträge aus staatlichen Infrastrukturen, für die eine Mautgebühr einzuführen wäre: also etwa für in Staatshand befindliche Autobahnen. Für Portugal wäre eine ähnliche Lösung vorzusehen. Außerdem sind Steuererhöhungen in Griechenland unerlässlich: Während die Steuereinnahmen 2000 in Deutschland und Griechenland jeweils bei etwa 23% lagen, sind sie bis 2009 in Griechenland auf 18,7% gesunken, Deutschland erreichte 23,9%.

    Viertens: Ein Hilfspaket mit einem Zeithorizont von drei Jahren ist viel zu kurz angesichts der Dimensionen der griechischen Probleme und des Fortschwelens der transatlantischen Bankenkrise – dort kommt die große Rechnung für die EU-Steuerzahler erst noch, wenn sich nämlich in einigen Jahren die Zinssätze normalisieren bzw. ansteigen. Griechenland hatte eine Schuldenquote von 125% in 2010; wenn das griechische Bruttoinlandsprodukt wegen der anstehenden drastischen Sparmaßnahmen in 2010-12 um 6-10% sinken sollte, dann wird die Schuldenquote auf über 130% ansteigen. Ein solcher Rückgang des Bruttoinlandsproduktes wird zu enormen sozialen Spannungen führen und der ganzen Welt vor Augen führen, welches Chaos in anderen Ländern der Eurozone droht, falls man in ähnliche Probleme wie Griechenland geriete.

    Griechenland sind energische Sparmaßnahmen und vor allem auch höhere Einkommenssteuern – sie sind relativ zum Bruttoinlandsprodukt im EU-Vergleich sehr niedrig – zuzumuten. Aber wenn man Griechenland durch einen überzogenen Sparkurs in eine scharfe Rezession stürzt, dann wird die Überwindung der Krise für Griechenland wie die Eurozone fast unmöglich. Hinzu kommt als Zusatzbelastung bei der Schuldenquote in Griechenland eine Defizitquote von etwa 14% bzw. 8% bzw. 6% in 2010 bzw. 2011 und 2012, was bis 2012 auf eine Schuldenquote von über 160% führen könnte. Sollte der Zinssatz nahe 10% liegen, dann wird Griechenland 16% der jährlichen Wirtschaftsleistung an Zinszahlungen erbringen müssen und da etwa 2/3 der Staatsschuld Auslandsschulden sind, ist das griechische Bruttonationaleinkommen zwangsläufig um 1/10 geringer als das Bruttoinlandsprodukt. Das aber heißt, dass der Lebensstandard relativ zum EU-Durchschnitt geringer ist als Zahlen zum Bruttoinlandsprodukt pro Kopf anzeigen.

    Damit Griechenland den Stabilitäts- und Wachstumspakt einhält, muss das Land die Neuverschuldungsquote auf unter 3% zurückführen, was mehrjährige Anpassungsprogramme und auch längere Laufzeiten bei der Staatsverschuldung erfordert; und damit es nicht in Konkurs geht, muss Griechenland langfristig ein reales Wirtschaftswachstum erreichen, das höher als die Neuverschuldungsquote ist.

    Die Lösung des Griechenland-Problems müsste anders aussehen: Mindestens notwendig ist ein 6jähriges Stabilisierungsprogramm mit parallelem Kreditprogramm; für Griechenland sind dabei zwei tilgungsfreie Jahre unerlässlich, um einen ökonomischen Absturz zu vermeiden. Irland, Spanien und Italien werden unter dem Eindruck des Griechenland-Schocks ihre Konsolidierungsanstrengungen verstärken, aber auch das braucht Zeit, weil die Belastungen durch die Bankenkrise erheblich ist. Die privaten Gläubiger sollte man in eine Lösung einbeziehen, d.h. das diese einen Beitrag zur Problemlösung durch Forderungsverzicht leisten sollten. Hier kann die staatliche Kapitalbeteiligung an vielen Banken ein guter Ansatzpunkt sein, entsprechend Druck bei Großbanken auszuüben. Schließlich rettet die Staatengemeinschaft die Griechenlandforderungen von Banken in der EU.

    Verschärfte Konsolidierung wird in Spanien, Portugal, Griechenland, Irland und anderen Euro-Ländern unvermeidlich sein. Ein Konsolidierungsschritt für Länder, die für 30% des Bruttoinlandsproduktes der Eurozone stehen, bedeutet, dass es in der Eurozone zu einer merklichen Wachstumsabschwächung kommen wird. Das dürfte auch nicht durch eine Exportstimulierung via Euro-Abwertung kompensiert werden, die sich im Gefolge der Hellas-Krise ergab.

    Die gefälschten Defizit-Zahlen im Vorfeld von Griechenlands Beitritt zur Eurozone und in den vergangenen Jahren werfen schwierige Fragen in Sachen Mitgliedschaft der Eurozone auf. Das Melden falscher Statistiken an die EU muss künftig mit automatisierten Sanktionen verbunden sein, die auf eine erhebliche Kürzung der EU-Strukturfonds hinauslaufen sollten.

    Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist zu stärken, d.h. dass die von Deutschland und Frankreich beförderten Aufweichungstendenzen rückgängig zu machen sind. Es ist erwägenswert, über die Regeln nachhaltiger Defizitpolitik in den Ländern der Eurozone neu nachzudenken, wozu strengere Vorgaben zur Erzielung von Überschüssen im Konjunkturaufschwung einerseits gehören; andererseits sind langfristige Simulationen für alle EU-Mitgliedsländer von der Europäischen Kommission regelmäßig durchzuführen, um frühzeitiger Gefährdungspotenziale für die Finanzstabilität zu erkennen. Die Europäische Kommission wäre gut beraten, wenn sie als ersten Schritt zu einer koordinierten Fiskalpolitik zunächst jährlich regelmäßige Strukturdaten zur Steuer- und Ausgabenpolitik in Verbindung mit Daten über die Leistungsbilanzposition aller EU-Mitgliedsländer veröffentlichte. Im Rahmen eines Nachfolgeprogramms für Lissabon 2010 ist auf die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit gerade auch in den EU-Ländern besonders zu achten, die eine hohe Schuldenquote – und ggf. auch eine hohe Auslandsverschuldung – aufweisen.

    Griechenland ließ im Vergleich zu Spanien und Portugal lange Jahre bei Privatisierung und Liberalisierung Rückstände erkennen, die wachstumsdämpfend wirkten und von daher zum Anstieg der Schuldenquote beigetragen haben. Denn die Schuldenquote ergibt sich langfristig als Relation von Neuverschuldungsquote und realer Wachstumsrate des Bruttoinlandsproduktes. Wenn die EU in der vorgesehenen Form ein Rettungspaket für Griechenland durchzieht, geraten EU und Eurozone auf eine abschüssige Bahn. Einer Implosion der Eurozone würde ein EU-Zerfall wohl folgen.

    Die öffentliche Debatte in Deutschland über eine 9-Mrd.-€-Bürgschaft für Griechenland ist absurd, weil so getan wird, als bekäme Griechenland diesen Betrag geschenkt. Das ist faktenwidrig, denn eine Bürgschaft führt zunächst zu keiner fiskalischen Belastung. Dem alten Exportweltmeister Deutschland sollte die Stabilisierung Griechenlands bzw. der Eurozone schon eine Bürgschaft von 0,4% des deutschen Bruttoinlandsproduktes wert sein. Eigen- und Fremdinteressen sind hier ziemlich deckungsgleich.

    Kontakt:
    Prof. Dr. Paul Welfens
    Jean Monnet Professor für Europäische Wirtschaftsintegration
    Lehrstuhl für Makroökonomik an der Bergischen Universität Wuppertal
    Präsident des Europäischen Instituts für Internationale Wirtschaftsbeziehungen
    Telefon 0202/439-3171, -1371
    E-Mail welfens@eiiw.uni-wuppertal.de


    Weitere Informationen:

    http://www.eiiw.eu
    http://www.econ-international.net


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft, Politik, Wirtschaft
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer
    Deutsch


     

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