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08.04.2008 22:33

Ähnlichkeit mit 1927/28

Michael Kroemer Pressestelle
Universität Wuppertal

    Der Wuppertaler Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Paul J.J. Welfens warnt vor dem Hintergrund der internationalen Bankenkrise: Die Situation bleibt dramatisch. Und: Warum rasche Erholung kaum zu erwarten ist. Welfens ist Präsident des Europäischen Instituts für Internationale Wirtschaftsbeziehungen (EIIW) an der Bergischen Universität Wuppertal, Jean Monnet Professor für Europäische Wirtschaftsintegration und war zuletzt Alfred Grosser Visiting Professor am Sciences Po, Paris. Hier sein Beitrag im Wortlaut:

    Die Krise in den US-Immobilienmärkten hat zu hohen Abschreibungen bei vielen Großbanken in den USA, Großbritannien, der Schweiz, Frankreich und Deutschland geführt. Nach Vorlage der Bankbilanzen im Februar und März 2008 und angesichts der US-Zinssenkungspolitik sowie des US-Konjunkturprogramms meinten Beobachter schon, das Schlimmste sei ausgestanden, eine US-Rezession könne vermieden wer-den, Anpassungsprobleme in der Eurozone blieben überschaubar. Die dramatische Rettungsaktion der fünfgrößten US-Investmentbank, Bear Stearns, die unter gütiger Hilfe der US-Zentralbank - sie sicherte 30 Mrd. $ an Papieren ab - ist indes Indiz für Chaos auf Märkten, die seit Monaten nicht mehr funktionieren und wo man die Zahl der angeschlagenen Großbanken und Hedge Fonds nicht mehr an einer Hand abzählen kann. JPMorgan Chase übernahm Bear Stearns zu gerade 1% des Aktienkurses vom Sommer 2007...

    Die von US-Regierung und diversen Akteuren gestreute Sicht einer weichen Landung bei der US-Bankenkrise war eine grundlegende Fehleinschätzung, die das Ausmaß an Verwerfungen bei Banken und Versicherungen sowie die Auswirkungen der Immobilienkrise kunstvoll und wohl mit Absicht unterschätzte. Die Weltwirtschaft 2007 mit Boom-Situation und hohen Aktienkursen (sowie dem hohen Maß an unsoliden Finanzierungen!) hat Ähnlichkeit mit der Situation 1927/28. Es ist keinesfalls ausgeschlossen, dass die US-Probleme nacheinander Großbritannien und Irland - beide mit starker US-Abhängigkeit und vielen riskanten Finanzgeschäften - sowie die Eurozone und viele Schwellen- bzw. Entwicklungsländer in größte Schwierigkeiten bringen werden.

    Die US-Fehlentwicklungen waren auf breiter Front mindestens seit 2006 absehbar. Ein Teil der US-Bankenkrise wird auf Europa übergreifen. Hinzu kommen US-Instabilitäten, die durch das Zusammenspiel von starken Notenbank-Zinssenkungen und erhöhtem Inflationsdruck entstanden sind: Es gibt in den USA die historische Anomalie eines Realzinssatzes von Null zu Beginn 2008, was eine Überschuldung von Haushalten und Unternehmen sowie völlig überhöhte Aktienkurse begünstigt. Der spätere Fall der Aktienkurse wird umso markanter, und bei realem Zinsanstieg werden Investitionen und Konsumnachfrage deutlich fallen.

    Niedrige Zinssätze und fallende Aktienkurse treiben Anleger in spekulative Engagements auf Märkten für Rohstoffe und Agrarprodukte. Ein Platzen einer Preisblase auf den Rohstoff-märkten könnte - bei Fortdauer der US-Bankenprobleme - in Verbindung mit reduzierten chinesischen Nettokapitalexporten zu einem globalen Stabilitätsproblem werden. China wird sich von den USA kaum unter Druck setzen lassen und ein von ihm nicht selbst mitgestaltetes Weltwirtschaftssystem stabilisieren.

    All diese Risiken und Probleme sind der Preis für eine unverantwortlich laxe Regulierungspolitik auf den US-Finanzmärkten. Die von Banken hundertfach gegründeten regulierungsfreien Hedge-Fonds mit Traumrenditen von über 25% schafften bei Banken den Druck, 30% Rendite anzustreben, das Doppelte der normalen Eigenkapitalrendite. Bei 4% auf risikolose Staatsanleihen bedeutet eine Eigenkapitalrendite von 30% im Bankgeschäft, dass man entweder kolossal Glück haben wollte oder eben 26% Risikoprämie und riskante Projekte realisierte.

    Ein altes ökonomisches Gesetzt besagt, dass langfristig der Realzins - Differenz von Zins und Inflationsrate - gleich dem realen Wirtschaftswachstum sein muss. Selbst mit China in Bestform kann die Weltwirtschaft längerfristig kaum 5% Wachstum erreichen.

    Das große Zittern in New York und London hat begonnen. Viele Banken und Fonds aus den USA und Großbritannien lösen in verzweifelter Suche nach Liquidität Investmentpositionen im Ausland, viele Banken müssen zwecks Stopfen von Refinanzierungslöchern Aktien verkaufen, was die Aktien verstärkt auf Talfahrt schickt. Die wahren Gewinner der Finanzmarktdynamik bzw. der Bankenkrise dürften am Ende Banken aus der Eurozone sowie Banken und Fonds aus China bzw. Singapur sowie arabischen Ländern sein.

    Eine rasche Erholung der US-Banken ist kaum zu erwarten. Der Bankenkrise dürfte eine von erheblichen Wertberichtigungen ausgelöste Krise im Versicherungsbereich folgen. An die Krise im Immobilienmarkt für Bauprojekte der privaten Haushalte schließt sich eine Krise der gewerblichen Immobilienmärkte an, in denen ja gerade Banken und Versicherungen wichtige Nachfrager sind. Wenn aber bei Banken und Versicherungen große Abschreibungen bzw. Verluste eintreten, kommt es bei gewerblichen Immobilien zu einem Nachfrageeinbruch.

    Die nächste Krise in den USA ist programmiert, und das gilt auch für einige am Dollar hängende Länder Südostasiens. Wer nur über eine geringe Eigenkapitalquote verfügt, droht bei einer Rezession und verminderter Kreditvergabe der Banken unter die Räder zu kommen. Es sind ganz einfache Mechanismen, die zu dem Chaos geführt haben. Und die Unsitte, den US-Bankier des Jahres zu wählen, gehört dazu - vorgebliche Top-Bankiers waren die ersten, die für ihr Versagen ihre Top-Positionen räumen mussten.

    Die US-Bankenkrise ist eine erhebliche Schwächung der US-Wirtschaft und dürfte auch zu verminderter konjunktureller Dynamik in den OECD-Ländern führen. Asiatische Banken und arabische staatliche Investmentfonds haben US-Banken und Schweizer Banken mit frischem Kapital fürs erste aus der Klemme geholfen. Die Situation auf den US-Finanzmärkten ist dramatisch. Die USA werden ihrer Führungsrolle in der Weltwirtschaft nicht mehr gerecht, zudem besteht die Gefahr, dass die US-Politik eine neue Inflationswelle auslöst.

    Deutsche Banken wurden ziemlich ahnungslos in die US-Krise verwickelt, für Sachsen zeichnet sich aus dem Debakel der SachsenLB eine politische Krise ab.

    Der Finanzplatz Düsseldorf wird durch die Probleme geschwächt, hier steht die IKB Deutsche Industriebank im Fokus, auch die WestLB hat Probleme, ebenso die Bayern LB. Es liegt an Deutschland und der EU, gegenüber den USA eine Normalisierung und Konsolidierung zu verlangen.

    EU-Kommission, Europäische Zentralbank und Europäisches Parlament müssen von den USA verlangen, das Chaos auf den Finanzmärkten durch schärfere Regulierungen und auf langfristige Ertragsraten ausgerichtete Steuergesetze zu beenden. Wenn die USA das nicht zügig angehen, droht ein internationales Finanzmarkt-Desaster mit sehr ernsten Folgen für Wachstum, Arbeitsplätze und Vermögenswerte.

    Aktuelles Foto zum Download unter http://www.presse.uni-wuppertal.de

    Kontakt:
    Prof. Dr. Paul J.J. Welfens
    Fachgebiet Volkswirtschaftslehre, Makroökonomische Theorie und Politik
    Telefon 0202/439-3171
    E-Mail welfens@uni-wuppertal.de


    Weitere Informationen:

    http://www.euroeiiw.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Politik, Recht, Wirtschaft
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer
    Deutsch


     

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