idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
20.06.2008 11:00

Heidelberger Ringvorlesung über Doping im Fitness- und Breitensport

Dr. Michael Schwarz Pressestelle
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

    Ein unterschätztes Problem für Gesundheitsökonomie und Volkswirtschaft - Heiko Striegel beleuchtete höchst problematische Situation - Für einen strikten Antidopingkurs in allen Bereichen - Nächste Vorlesung am 26. Juni

    Den Zuhörern präsentierte sich bei der Ringvorlesung zum Doping von Universität und Pädagogischer Hochschule Heidelberg mit Dr. Heiko Striegel ein schlanker und auch ohne Medikamentenmissbrauch höchst leistungsfähiger Mann. Zugelassener Rechtsanwalt, habilitierter Sportmediziner, Autor von aufwändigen und praktisch nicht unterstützten Forschungen und wissenschaftlichen Publikationen, tätig am Olympiastützpunkt Stuttgart und in der Sportmedizin der Universität Tübingen - allein diese Arbeitsleistung und Aufgabenmenge würde schon viele überfordern. Er aber schafft daneben noch Ehrenämter wie "Antidopingbeauftragter des Landessportverbands Baden-Württemberg" oder Mitgliedschaft in der "Kommission Recht der Nationalen Anti Doping Agentur". Bei dieser Vorlesung war aber nicht der Spitzensport oder seine eigene Höchstleistungsfähigkeit das Thema, sondern der Medikamentenmissbrauch im Fitnesssport.

    Gleich zu Beginn gab Striegel eine eindeutige Positionsbestimmung zum Umgang als Arzt und Jurist mit Dopern ab: Beratung ja, wenn sich der Patient aber nicht vom Doping abbringen lässt, beendet er die Arzt - Patient - Beziehung. Und diesen strikten Antidopingkurs erwartet er nicht nur von seinen Patienten, sondern auch von seinen Kolleginnen und Kollegen.

    Mit dieser Einstellung steht er möglicherweise ziemlich allein, denn in seinen Studien ergab sich - ähnlich bei Studien in anderen Ländern auch - ein erschreckend hoher Anteil des Gesundheitswesens als Lieferant von Dopingmitteln (Ärzte im Inland ca. 25 %, Apotheken im Inland ca. 25%). Seine Einstellung, die allen Akteuren im Gesundheitswesen in der gleichen Klarheit zu wünschen wäre, fundiert Striegel durch die Zahlen von dopenden Freizeit- und Fitnesssportlern und das damit entstandene Gefahrenpotential.

    Doping ist in den USA zwar immer noch ein größeres Problem als in Europa; aber auch hier ist es in der Zwischenzeit ein weitaus größeres Problem, im Fitnesssport wesentlich mehr als im Spitzensport. Etwa 10.000 Spitzensportlern in Deutschland stehen rund fünf Millionen Mitglieder in Fitnessstudios gegenüber. Wenn davon nur 10% dopen (seine eigenen Ergebnisse liegen höher) und dadurch bei jedem Doper nur ein Krankheitstag pro Jahr verursacht würde, dann entsteht dadurch ein jährlicher volkswirtschaftlicher Schaden von 200 bis 250 Millionen Euro.

    Anabole Steroide sind im Freizeitsport nach wie vor die am meisten verwendeten Mittel. Anaboliker sind meist keine Außenseiter, sondern gut in die Gesellschaft integrierte Menschen. Um weitere Hintergründe und Grundlagen dieses unterschätzten Problems herauszufinden, führte Striegel eine repräsentative Untersuchung mit 1802 Fragebögen in 113 Fitnessstudios durch (ca. 2% der 90100 Mitglieder). Der Fragebogenrücklauf war überraschend hoch (621 oder 34,4%), davon 390 von Männern (62,8%) und 231 von Frauen (37,2%). Generelles Fazit: Je häufiger pro Woche und umfangreicher in Fitnessstudios trainiert wird, desto häufiger wird zu Dopingsubstanzen gegriffen. Kleine Studios (mit bis zu 300 Mitgliedern) scheinen weit überzufällig hardcore-Studios zu sein, größere Studios (bis zu 3000 Mitglieder) scheinen heute mehr auf ihren guten Ruf bedacht zu sein. Studios mit überwiegend männlichen Mitgliedern scheinen mehr Gefahrenpotentiale zu enthalten als Studios mit vorwiegend weiblichen Mitgliedern.

    Bei den antwortenden Männern haben 19,2% zumindest einmal zu Dopingsubstanzen gegriffen, bei den Frauen nur 3,9%. Beim Gewicht unterscheiden sich Doper signifikant von Nichtdopern (87 gegen 74 kg), schließlich geht es diesen auch meist primär um muskulöses Aussehen. Nur anabole Steroide haben 55,2% verwendet, meist bleibt es aber nicht beim Missbrauch dieses einen Wirkstoffs. Bei den verwendeten Mengen konnte Striegel von irrsinnigen Mengen und Medikationsplänen berichten. Zwischen zwei und vier Wirkstoffe nehmen 42,6% der Abuser, fünf und mehr Wirkstoffe 17,5%, und alles ohne groß über drohende gesundheitsgefährdende Nebenwirkungen nachzudenken.

    Die orale Einnahme von anabolen Steroiden (die für die Leber besonders gefährlich ist) wird von 35,3% bevorzugt, sowohl oral als auch per Injektion von 51,5%. Ein Bodybuilder nahm in einem Jahr ca. 50 Gramm anaboler Steroide, also ein Vielfaches dessen, was beim systematischen DDR-Doping durch die dortigen Mediziner erlaubt war. Nicht verwunderlich ist bei solchen Zahlen, dass es immer wieder zu Todesfällen kommt. In der Spitze entstehen den Abusern monatliche Kosten von 1000 bis 1500 Euro, im Durchschnitt zwischen 200 und 400 Euro.

    Infoquellen für den Missbrauch sind andere Sportler, aber auch Ärzte und Sportärzte; neben dem Umfeld wird in den letzten Jahren das Internet immer wichtiger und gefährlicher, da oft Falschinformationen gegeben werden und bezogene Mittel nicht selten nicht das enthalten, was auf dem Etikett steht. Bezugsquellen sind andere Sportler in den Studios (ca. 45%), der Schwarzmarkt (ca. 42%) sowie Ärzte (25%) und Apotheken (ca. 25%) im Inland, aber auch Apotheken im Ausland (13%). Als sehr erschreckend bezeichnete es Striegel, dass bei der Belieferung mit Dopingmitteln das Gesundheitswesen einen so hohen Stellenwert einnimmt. Da es hierzu bisher kaum Kläger gab, verläuft dieser Handel praktisch straffrei.

    Als Gründe für den Missbrauch geben die Abuser in den Studios primär das Aussehen an, der Waschbrettbauch muss in kürzester Zeit bis zur Badesaison gelingen.

    Gründe für den Missbrauch Frauen Männer
    Verbessertes Aussehen 39,0% 45,1%
    Kraftzuwachs 6,9% 42,6%
    Sportliche Erfolge 20,4% 23,9%
    u.a.m.

    Und es gibt signifikante Zusammenhänge: Wer dopt, hat einen häufigeren Kokainkonsum (28mal mehr als Nichtdoper), eine höhere Trainingsfrequenz und ist häufiger in Bodybuildingstudios anzutreffen.

    Striegel führte nach fünf Jahren eine Follow-Up-Befragung durch. Erfreulich war dabei eine Reduktion der Zahl der Dopenden auf etwas unter 10%. Auch die Zahl der Lieferanten aus dem Gesundheitswesen hatte sich verringert, dafür war der Schwarzmarkt deutlich wichtiger geworden. Wegen Drogenmissbrauchs hatten schon 6,5% der Abuser Probleme mit der Justiz, wegen Dopings nur 0,3%, und dies, obwohl die mit dem Steroidmissbrauch verbundene erhöhte Aggressivität zu einer vermehrten Unfallhäufigkeit bei Verkehrsunfällen oder auch zu häufigeren körperlichen Aggressionen führt.

    Striegels Schlussfolgerung: Das Gesundheitswesen fördert Doping durch die Weitergabe von Doping-Substanzen und durch die Bereitschaft zur Überwachung von Nebenwirkungen. Prävention - die bisher gerade auch in diesem Bereich kaum stattfindet - müsste intensiv über potentielle Nebenwirkungen aufklären: Dopingsubstanzen sind Medikamente, und jedes wirksame Medikament hat potentiell erhebliche Nebenwirkungen - bis hin zum Tod. Er beklagte zugleich die Erfahrung, die außer ihm schon mehrere Aktivisten im Kampf gegen Doping gemacht haben: Die Bereitschaft zur finanziellen Förderung von Forschung und Prävention ist gering. Striegel selbst musste seine Forschungen aus Eigen- sowie aus Institutsmitteln finanzieren, eine staatliche Förderung oder eine Förderung durch Sponsoren oder Stiftungen war nicht zu erhalten. Was insofern unverständlich ist: Eine flächendeckende Prävention würde sich volkswirtschaftlich und gesundheitsökonomisch rechnen.

    Nach Striegel würde Prävention allein aber auch in diesem Bereich nicht ausreichen; die existierenden Gesetze gehen ihm nicht weit genug. Er fordert - wie bei einer vorhergehenden Ringvorlesung auch schon Prof. Dr. Rössner
    - eine weitere Verschärfung der Gesetze,
    - eine konsequentere Strafverfolgung,
    - eine deutlichere Beachtung und Erforschung des erhöhten Aggressionspotentials von Abusern und
    - ein intensiveres Eingreifen des Staats und seiner Ermittlungsbehörden.

    Als eine weitere, nicht unwesentliche Aufgabe für sich sieht es Striegel auch an, junge Menschen nicht nur vom Doping abzuhalten, sondern sie auch davor zu schützen, dass sie im Leistungssport aus Unwissenheit oder auch aus Fahrlässigkeit von Personen in ihrem Umfeld zu einem positiven Dopingfall werden. Gegen eine Dopingfreigabe und ungehindertes Dealen im Freizeitsport ist er wegen der nicht zu unterschätzenden Folgen nicht nur für die Gesundheit der Sporterlerinnen und Sportler. Auch die Negativwirkung für Ethik und Moral im Sport wären katastrophal. Der Sport hat sich seine Regeln selbst gegeben, er muss auch selbst für ihre Einhaltung sorgen. Und die Aufgabe von Ärzten kann es nicht sein, Doper kontinuierlich so einzustellen, dass ihnen möglichst wenig passieren kann.

    Zu einer Antwort auf die Frage nach der Formschwäche des VfB-Spielers Gomez in der Nationalmannschaft ließ sich der VfB-Vereinsarzt Striegel nicht hinreißen; bei seiner Prognose für das Spiel gegen Portugal lag er mit der Vorhersage eines 2 : 1 Sieges tendenziell richtig. Auf jeden Fall erlebten die Zuhörer eine beeindruckende Vorstellung eines jungen Mannes mit großem Potential!

    Nächste Ringvorlesung:
    Donnerstag, 26.6.2008, 16 Uhr, Hörsaal des ISSW, Im Neuenheimer Feld 700, 69120 Heidelberg
    Prof. Dr. Gerhard Treutlein: Prävention - der Königsweg der Dopingbekämpfung?

    Rückfragen bitte an:
    Prof. Dr. Gerhard Treutlein
    Tel. 06221 477607 oder 0172 9334838
    Treutlein@ph-heidelberg.de

    Allgemeine Rückfragen von Journalisten auch an:
    Dr. Michael Schwarz
    Pressesprecher der Universität Heidelberg
    Tel. 06221 542310, Fax 542317
    michael.schwarz@rektorat.uni-heidelberg.de
    http://www.uni-heidelberg.de/presse

    Irene Thewalt
    Tel. 06221 542310, Fax 542317
    presse@rektorat.uni-heidelberg.de


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin, Politik, Recht, Sportwissenschaft
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).