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03.01.2008 09:09

Universität Wien: Schildkröten-Forschung: Vom Fleisch- zum Pflanzenfresser

Alexandra Frey Öffentlichkeitsarbeit und Veranstaltungsmanagement
Universität Wien

    Der Biologe Josef Weisgram von der Universität Wien erforscht seit Jahren Schildkröten. Er hat herausgefunden, dass es welche gibt, die sich im Laufe ihres Lebens vom Fleischfresser im Wasser zum Pflanzenfresser an Land verändern. Einer der Gründe dieser Individualentwicklung liegt in der Nahrungsaufnahme der Tiere. In einem kürzlich gestarteten Projekt des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) konzentriert sich Weisgram auf den Fressvorgang der Schildkröte.

    Wasserschildkröten, Riesenschildkröten, Wüstenschildkröten, Landschildkröten, Lederschildkröten, Sumpfschildkröten ... die Liste könnte noch lange fortgesetzt werden. Es gibt zahlreiche Arten, denn Schildkröten haben sich an sehr unterschiedliche Lebensräume angepasst. Ao. Univ.-Prof. Dr. Josef Weisgram und sein Team vom Department für Theoretische Biologie konnten in einem FWF-Projekt nachweisen, dass Schildkröten entgegen der bisher verbreiteten wissenschaftlichen Meinung nicht von rein terrestrischen Ahnen, sondern von (semi-)aquatischen abstammen. In dem seit November 2007 laufenden neuen FWF-Projekt erforscht die Gruppe, wie sich der Nahrungsaufnahmeapparat bei Schildkröten vom frisch geschlüpften bis zum erwachsenen Tier entwickelt.

    Die Zunge als Entwicklungsindikator

    "Es gibt Schildkröten, die zu Beginn eher Fleischfresser sind, aber mit zunehmendem Alter Pflanzenfresser und damit auch terrestrischer werden", erzählt Ao. Univ.-Prof. Dr. Josef Weisgram. Diese Übergänge untersucht er mit zwei DissertantInnen. "Wir gehen davon aus, dass es in der Individualentwicklung der Schildkröten irgendwann einen 'Point of no return' geben muss, und den möchten wir herausfinden", so Weisgram. Die Zunge der Tiere kann beispielsweise nur an Land zur Nahrungsaufnahme eingesetzt werden, nicht aber unter Wasser, denn sie behindert den Wasserstrom beim Nahrungstransport in die Mundhöhle. Wann ist nun der Moment, wo die Zunge zu groß wird, so dass die Schildkröte nicht mehr ins Wasser zurückkehrt und beschließt an Land zu leben, fragen sich die ForscherInnen.

    Analysen des Fressvorganges mit Röntgenfilmen und Hochgeschwindigkeitskameras

    Die Bandbreite der Untersuchungsmethoden reicht von Röntgenfilmen, die innere Strukturen und deren Bewegungen zeigen, über anatomische Untersuchungen bis hin zu Filmanalysen mit Hochgeschwindigkeitskameras. Schildkröten sind zwar gemeinhin als langsame Tiere bekannt; es gibt jedoch Arten, die beim Fressen zu einer der schnellsten Bewegungen im ganzen Tierreich fähig sind. Durch die im Labor angefertigten Filmanalysen hoffen die WissenschafterInnen mehr über die Bewegungen des Zungenbeins und des Mauls zu erfahren.

    Beispielsweise ist der Fressvorgang der im Wasser lebenden Schildkröte Matamata, der mit freiem Auge nicht erfassbar ist, mit der Spezialausrüstung analysiert worden. Die Tiere strecken zuerst den Hals mit hoher Geschwindigkeit Richtung Beuteobjekt aus (schnappen also gewissermaßen danach), bremsen dann diese Bewegung kurz vor der Beute ab und saugen diese ein. Im Wasser lebende Schildkröten haben keine Zunge, deshalb saugen sie die Nahrung in ihren Körper.

    Eine Zwischenstufe sind im Wasser lebende Schildkröten, die auch an Land Nahrung aufnehmen. Das ist für die semiaquatischen Tiere ein schwieriges Unterfangen, da ihnen die Zunge zum Weitertransport der Nahrung fehlt. Die Schildkröten lösen dies - wie Weisgrams Gruppe herausfand - mit "trägem Fressen" (inertial feeding). Dabei ziehen sie den Kopf zurück und setzen damit das Futterstück in Bewegung, dann öffnen sie das Maul und strecken den Kopf nach vorne, wodurch das Futter gewissermaßen ein Stück "zurückfliegt". "Das ist ähnlich wie bei Hühnern, die Körner picken", zieht Josef Weisgram einen Vergleich.

    Mögliche Evolution der Schildkröte: primitive Wassersauger - moderne Landgänger

    "Je nachdem, welche Fress-Strategien angewandt werden, kann man auf die Entwicklung oder auf die Position der Tiere im Evolutionssystem schließen", erklärt Weisgram. Während das Fressen durch Saugen relativ primitiv ist, steht das "Trägheitsfressen" eine Stufe höher in der Entwicklung, und terrestrisches Fressen mit Zunge ist eventuell die Spitze der Evolution bei Schildkröten. Nicht zuletzt sind die im Projekt gewonnenen Daten wichtig, um zu verstehen, wie sich Schildkröten in ihre jeweiligen Ökosysteme integrieren. Damit leisten die ForscherInnen einen bedeutenden Beitrag zum Schutz dieser weltweit gefährdeten Tiergruppe.

    Kontakt
    Ao. Univ.-Prof. Dr. Josef Weisgram
    Department für Theoretische Biologie
    Universität Wien
    1090 Wien, Althanstraße 14 (UZA I)
    T +43-1-4277-544 18
    josef.weisgram@univie.ac.at

    Rückfragehinweis
    Mag. Alexandra Frey
    Öffentlichkeitsarbeit
    Universität Wien
    1010 Wien, Dr.-Karl-Lueger-Ring 1
    T +43-1-4277-175 31
    alexandra.frey@univie.ac.at


    Weitere Informationen:

    http://www.univie.ac.at/175 Medienservice der Universität Wien


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Informationstechnik
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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