idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
02/09/2010 10:08

Vom Faulpelz zum Draufgänger - Hechte verhalten sich nicht immer arttypisch

Gesine Wiemer Pressestelle des Forschungsverbundes Berlin e.V.
Forschungsverbund Berlin e.V.

    Gibt es in einem See so viele Hechte, dass das Nahrungsangebot knapp ist, ist es ein Vorteil, wenn sich nicht alle Individuen arttypisch verhalten. Die Pioniere unter den Hechten haben genauso gute Chancen wir ihre konservativen Artgenossen.

    In der Berufswelt gibt es viele Strategien, um zum Ziel zu gelangen. Während sich die einen durch Beständigkeit behaupten, trumpfen andere mit ihrem Charisma auf. Bis jetzt ist weitgehend ungeklärt, ob auch bei niederen Wirbeltieren, wie Fischen, unterschiedliche Verhaltensweisen innerhalb einer Art vergleichbare Folgen für das Überleben und den Fortpflanzungserfolg haben. Forscher am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) haben nun herausgefunden, dass der Raubfisch Hecht in der Lage ist, bei mangelndem Nahrungsangebot alte Gewohnheiten aufzugeben. Ein Team von Freilandfischökologen beobachtete drei unterschiedliche Verhaltenstypen innerhalb einer Hechtpopulation in einem Brandenburger See. Sowohl "faules" Verhalten als auch eine "draufgängerische" Lebensweise führten zu ähnlichem Körperwachstum der einzelnen Individuen. Veränderliche Lebensweisen sind ein Schlüsselprinzip, mit dem Fische auf steigende innerartliche Konkurrenz reagieren und so ihr Überleben sichern.

    Normalerweise ist der Hecht (Esox lucius L.) ein geduldiger "Faulpelz". Als Lauerräuber verbringt er seine Zeit am liebsten in von Schilf bewachsenen Uferzonen und wartet, bis ein Beutefisch vorbeikommt. Große Schwimmaktivitäten im offenen Gewässer meidet er für gewöhnlich, so die Lehrbuchmeinung. In dem 25 Hektar umfassenden "Kleiner Döllnsee" im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin hat eine Arbeitsgruppe um den Juniorprofessor Robert Arlinghaus nun zwei weitere, völlig andere Charaktere in ungewöhnlichen Lebensräumen beobachtet.

    Ermöglicht wurde die Untersuchung durch den Einsatz moderner Fischortungstechnologie. Insgesamt 20 Tiere wurde mit Peilsendern ausgestattet und ihre Position im Gewässer wiederholt über ein GPS-Gerät bestimmt. Über den Zeitraum von drei Monaten wurde jeder "Proband" einmal in der Woche alle drei Stunden je Tag mindestens einmal geortet. Die Aufenthaltsplätze geben Aufschluss über die Betriebsamkeit, Aktivität und Wahl der Lebensräume: Je öfter die Jäger ihren Standpunkt verändern und je weiter sie sich auf den offenen See hinauswagen, umso aktiver und risikofreudiger sind sie. Denn Hechte, die ihren Unterschlupf im Uferbereich verlassen, laufen Gefahr, kannibalistischen Attacken anderer Konkurrenten zum Opfer zu fallen.

    Die Forscher konnten in der natürlichen Hechtpopulation eine erstaunliche Vielfalt von bisher unbekannten Verhaltenstypen feststellen: Der klassische "Schilf-Typ" verbringt die meiste Zeit bewegungslos im Röhricht. Ein aktiverer Artgenosse ist der "Unterwasserpflanzentyp". Dieser hält sich in tieferen Ufergebieten auf, bleibt aber häufig in der Nähe von Unterwasserpflanzenbeständen, die Schutz- und Jagdrevier sind. Gänzlich abweichende Aktionsmuster zeigt der "Opportunist". Vertreter dieser Gruppe wagen sich zur Jagd auf das offene Wasser, nutzen aber meist die sichere Nacht. Die letztgenannte Strategie wurde vermehrt im späteren Verlauf des Jahres an den Tag gelegt, als die Verfügbarkeit von Nahrung im Untersuchungsgewässer immer stärker abnahm. Als regsamere Räuber verbrauchen die Opportunisten im Vergleich zu ihren Mitstreitern aber die meiste Energie. Stellt diese Strategie also ein Nachteil für den Hinterhaltsräuber Hecht dar? Hat er doch in der Entwicklungsgeschichte eine Reihe von Merkmalen ausgebildet, die dem Fisch zwar explosive Attacken, aber kein effizientes Dauerschwimmen ermöglichen.

    Die IGB-Wissenschaftler konnten in ihrer Studie überraschender Weise feststellen, dass auch eine radikale Änderung der typischen Lebensweise zu mehr Aktivität insgesamt keine Nachteile für die anpassungswilligen Individuen nach sich zog. Ein für die aktiveren Tiere gesteigerter Energiebedarf bei der Jagd wird vermutlich durch einen höheren Beuteerfolg wieder wettgemacht. Insgesamt zeigen die Tiere aller Verhaltenstypen identische Wachstumsleistungen. Das ist von wesentlicher Bedeutung, da die Körperlänge bei Hechten eng mit der Überlebenswahrscheinlichkeit und der Fruchtbarkeit zusammenhängt. Die Antwort der Hechte auf knappe Ressourcen ist damit klar: Vielfalt statt Einfalt - ein cleveres Prinzip, nicht nur für Fische.

    Die beschriebenen Erkenntnisse sind publiziert als KOBLER A., T. KLEFOTH, T. MEHNER, R. ARLINGHAUS. 2009. Co-existence of behavioural types in an aquatic top predator: a response to resource limitation? Oecologia, 161, 837-847.

    Pressekontakt:
    Nadja Neumann
    Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)
    Müggelseedamm 310
    12587 Berlin
    Phone: +49-30-64181631
    E-Mail: nadja.neumann@igb-berlin.de

    Wissenschaftskontakt:
    Prof. Dr. Robert Arlinghaus
    Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)
    Müggelseedamm 310
    12587 Berlin
    Phone +49-(0)30-64181-653
    Fax +49-(0)30-64181-750
    E-Mail: arlinghaus@igb-berlin.de


    More information:

    http://www.adaptfish.igb-berlin.de
    http://www.igb-berlin.de


    Images

    Sowohl "faules" als auch "draufgängerisches" Verhalten kann für Hechte von Vorteil sein
    Sowohl "faules" als auch "draufgängerisches" Verhalten kann für Hechte von Vorteil sein
    Foto: Andreas Hartl
    None


    Criteria of this press release:
    Biology, Environment / ecology, Zoology / agricultural and forest sciences
    transregional, national
    Research results
    German


     

    Sowohl "faules" als auch "draufgängerisches" Verhalten kann für Hechte von Vorteil sein


    For download

    x

    Help

    Search / advanced search of the idw archives
    Combination of search terms

    You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

    Brackets

    You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

    Phrases

    Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

    Selection criteria

    You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

    If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).