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27.01.2015 10:55

„Antisemitismus bedroht jüdisches Leben und Demokratie in Deutschland und Europa“

Sandra Sieraad Pressestelle
Universität Bielefeld

    Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus: Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung stellt Analysen vor

    70 Jahre nach Befreiung des Konzentrationslagers Ausschwitz ist der Antisemitismus immer noch stark ausgeprägt und erscheint in Teilen der deutschen Bevölkerung fest verankert zu sein. „Unsere aktuellen Studien zeigen einen beachtlichen Anteil von 18 Prozent der Deut-schen, der die Auffassung vertritt: ,Durch ihr Verhalten sind Juden an ihren Verfolgungen mitschuldig‘“, sagt Professor Dr. Andreas Zick, Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld. Zusammen mit Professorin Dr. Beate Küpper von der Hochschule Niederrhein, einer assoziierten Wissenschaftlerin des IKG, stellte er am heutigen Holocaust-Gedenktag (27.01.2015) neue Zahlen und Ergebnisse zu antisemitischen Einstellungen in der deutschen Bevölkerung vor. Professor Dr. David Schlangen präsentierte seine Analyse der Kommunikation der Pegida-Bewegung, in der laut den Forschern zunehmend auch Antisemitismus eine Rolle spielt.

    „Die Zustimmung zu offenen antisemitischen Vorurteilen ist im vergangenen Jahr nach den Sommerprotesten gegen Israel erneut angestiegen. In Paris wurden im Januar Jüdinnen und Juden getötet. Wie können wir da noch ruhig der Opfer gedenken?“, fragt Andreas Zick. Laut einer Umfrage des IKG im Jahr 2014 stieg zum Beispiel die Zustimmung zu antisemitischen Einstellungen zwischen Juni und September 2014. 23 Prozent – also fast ein Viertel – der älteren Deutschen ab 60 Jahren, meint, „Juden haben zu viel Einfluss in Deutschland“. Bei den Jüngeren bis 30 Jahren ist die Zahl mit knapp zehn Prozent zwar deutlich geringer. „Sie bleibt aber seit Jahren beinahe auf einem ähnlichen Stand. Wir scheinen uns damit abgefunden zu haben“, erklärt Beate Küpper. Wie stark antisemitische Vorurteile verbreitet seien, zeige sich auch an einer Frage, die sich auf die Verfolgung und Ermordung von Juden in Nazi-Deutschland bezieht. Die Mehrheit der 2014 in der Studie „Fragile Mitte“ Befragten äußerte sich verärgert darüber, „dass den Deutschen auch heute noch die Verbrechen an den Juden vorgehalten werden.“
    „Gerade die Anti-Gaza-Demonstrationen im vergangenen Sommer haben Antisemitismus erneut auf eine erschreckende Weise aufbrechen lassen, und zwar durchaus auch in jenen Teilen der Bevölkerung, die sich selbst als Mitte versteht“, sagt Küpper.

    „Der Reflex, die Geschichte der Schoah loszuwerden, erschwert das Erinnern nach Aus-schwitz“, sagt Andreas Zick. In Anbetracht der Hass-Taten gegen Jüdinnen und Juden und ihre Einrichtungen in Europa, wäre eher „ein unruhiges Erinnern“ angemessen. „Der Antisemitismus bedroht das Leben von Jüdinnen und Juden und die Demokratie in Deutschland und Europa“, sagt Zick.

    Antisemitische Einstellungen treten laut Beate Küpper auch in der Pegida-Bewegung in Er-scheinung. „Pegida ist gewissermaßen ein Sammelbecken für menschenfeindliche Einstellun-gen gegenüber einer ganzen Reihe von sozialen Gruppen“, sagt Küpper. Zwar sehe man auf Pegida-Kundgebungen Israelfahnen, aber viele Europakritiker und Sympathisanten rechtspo-pulistischer Gruppen seien „mindestens klammheimlich antisemitisch“, meint Küpper unter Bezug auf empirische Befunde.

    Das IKG untersucht seit zwölf Jahren die Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Deutsch-land. Nach Annahmen der Forscher ist dabei immer auch an den Zusammenhang zwischen Antisemitismus und Islamfeindlichkeit sowie anderen Vorurteilen zu denken. Insofern ergebe es Sinn, sich Pegida genauer anzusehen, erklärt Zick.

    Hintergründe zum Internet-Auftritt von Aktivisten und Sympathisanten von Pegida stellte David Schlangen vor, Computerlinguist an der Universität Bielefeld. Der Forscher hat die öf-fentliche Facebook-Kommunikation der Pegida-Bewegung untersucht. Seinen Analysen zufol-ge kommt knapp vier Fünftel der Kommentare auf der Pegida-Facebook-Seite von Konten, bei denen der dazu eingetragene Name als männlich klassifiziert werden kann. Auf der Facebook-Seite von Pegida wird auch kommentiert von Facebook-Benutzern, die auch auf der Seite der NPD aktiv sind: „Etwa 3,5 Prozent der Kommentierer auf der Pegida-Seite melden sich auch auf der Facebook-Seite der NPD zu Wort. Von ihnen stammen etwa vier Prozent der Kommentare auf der Pegida-Seite“, sagt Schlangen.

    Zusatzinformation zur Verbreitung antisemitischer Einstellungen in Deutschland:
    Zustimmung zu einzelnen Aussagen zur Erfassung von Antisemitismus in Prozent im September 2014
    (Stichprobe: über 500 Befragte aus der deutschen Bevölkerung;
    4-stufige Antwortskala, hier addiert: „ich stimme eher zu“ und „ich stimme voll und ganz zu“)


    Klassischer Antisemitismus

    Juden haben in Deutschland zu viel Einfluss: 15%
    Durch ihr Verhalten sind Juden an ihrer Verfolgung mitschuldig: 18%

    Sekundärer Antisemitismus/ Schlussstrich-Mentalität

    Ich ärgere mich darüber, dass den Deutschen auch heute noch die Verbrechen an den Juden vorgehalten werden: 55%
    Ich bin es leid, immer wieder von den deutschen Verbrechen an den Juden zu hören: 49%

    Israelbezogener Antisemitismus

    Durch die israelische Politik werden mir die Juden immer unsympathischer: 20%
    Bei der Politik, die Israel macht, kann ich gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat: 28%

    NS-vergleichende Israelkritik

    Israel führt einen Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser: 40%
    Was der Staat Israel heute mit den Palästinensern macht, ist im Prinzip auch nichts anderes als das, was die Nazis im Dritten Reich mit den Juden gemacht haben: 27%

    Quelle: Zusatzerhebung zur Studie „Fragile Mitte – Feindselige Zustände“, durchgeführt von Andreas Zick und Anna Klein im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, 2014, auf Grundlage von Tabelle 4.2.1.

    Kontakt:
    Prof. Dr. Andreas Zick, Universität Bielefeld
    Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung
    Telefon: 0172 1728852
    E-Mail: ikg@uni-bielefeld.de

    Prof. Dr. David Schlangen, Universität Bielefeld
    Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft
    Telefon: 0521 106-67323
    E-Mail: david.schlangen@uni-bielefeld.de


    Weitere Informationen:

    http://www.uni-bielefeld.de/ikg - Website des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Gesellschaft, Pädagogik / Bildung, Politik, Religion
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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