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23.07.2014 08:54

Negativ-Berichte über Anästhesien bei Säuglingen und Kleinkindern verunsichern Eltern

Medizin - Kommunikation Medizinkommunikation
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften

    Berlin – Operationen unter Vollnarkose sind bei Säuglingen und Kleinkindern mitunter unvermeidlich. Die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH) bedauert deshalb Medienberichte, wonach eine Allgemeinanästhesie bei Säuglingen und Kleinkindern zu einer lebenslangen Beeinträchtigung des Gedächtnisses führen könne. Solche wissenschaftlich derzeit nicht haltbaren Aussagen verunsicherten Eltern betroffener Kinder und schadeten den kleinen Patienten, kritisiert die DGKCH. Stattdessen sollten Ärzte Eltern beraten und vermitteln, dass notwendige Operationen rechtzeitig stattfinden.

    Die Berichte beruhen auf einer kürzlich im Fachblatt „Neuropsychopharmacology“ veröffentlichten Studie von US-Forschern um Greg Stratmann. Sie verglichen die Gedächtnisleistung von 28 Kindern im Alter zwischen sechs und elf Jahren, die sich aufgrund einer Operation im ersten Lebensjahr einer Allgemeinanästhesie – umgangssprachlich Vollnarkose genannt – unterzogen hatten. Ihre Gedächtnisleistung war um etwa 25 Prozent verringert gegenüber Gleichaltrigen ohne Anästhesieerfahrung. Die Untersuchung schließt an frühere experimentelle Studien mit Tieren an. Danach können Anästhetika und Sedativa die Entwicklung des noch unreifen Gehirns negativ beeinflussen. Inwieweit sich dies auf Menschen übertragen lässt, ist umstritten. Gegenwärtig vorliegende wissenschaftliche Erkenntnisse als Argument gegen eine begründete Operation, etwa in den ersten beiden Lebensjahren, zu verwenden, sei verantwortungslos, meint Dr. med. Tobias Schuster, Sprecher DGKCH. „Es besteht Konsens, dass wir Kinder nur operieren, wenn es medizinisch geboten ist“, so der der Chefarzt der Kinderchirurgie am Klinikum Augsburg. Das bevorzugte OP-Alter richte sich nach dem Krankheitsbild, wichtige Erkenntnisse, etwa über den OP-Zeitpunkt bei Harnröhrenverkürzung, dürften jetzt nicht einfach über Bord geschmissen werden, so Schuster.

    Eine noch unveröffentlichte prospektive Studie von Medizinern um Antje Allendorf, Oberärztin für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Frankfurt/Main stützt diese Einschätzung: Sie untersuchten in Kooperation mit der Kinderchirurgie unter Leitung von Professor Udo Rolle 40 Patienten mit angeborenen Fehlbildungen im Magen-Darm-Bereich, die als Neugeborene operiert und anästhesiert worden waren und 40 Kinder einer Kontrollgruppe, die nicht operiert wurden. Im Alter von zwei Jahren wiesen die kleinen Patienten keinen allgemeinen Rückstand in der motorischen und kognitiven Entwicklung auf.

    Schuster rät Eltern davon ab, aus Bedenken oder Angst vor möglichen Folgen der Anästhesie medizinisch notwendige Operationen bei ihren Kindern zu verschieben. Denn Eingriffe unter Vollnarkose werden auch bei kleinen Kindern keineswegs nur in Notfällen durchgeführt. Auch um Entwicklungsstörungen eines Organs, einer Organfunktion oder etwa drohende Infektionen zu verhindern, ist eine rechtzeitige Operation entscheidend. Als Beispiel nennt der Facharzt eine OP bei Harnleiterabgangsenge zur Rettung der Nieren oder bei Hodenhochstand zur Erhaltung der Fruchtbarkeit. „Eine solche Operation hinauszuzögern ist nicht gerechtfertigt.“

    Mehrere Forschergruppen widmen sicher derzeit dem Thema, insbesondere in den USA. Hier flossen im Jahr 2012 bereits 24 Millionen Dollar in entsprechende Studien. Als begrenzt bewertet die Aussagekraft der Rückschau von Stratmann und Co. jedoch auch Dr. med. Karin Becke, Chefärztin der Abteilung für Anästhesie an der Cnopf´schen Kinderklinik in Nürnberg. Die Sprecherin des Wissenschaftlichen Arbeitskreises Kinderanästhesie der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) verweist unter anderem auf die geringe Zahl der Probanden, wechselnde Anästhesieverfahren sowie Grunderkrankungen, die bereits mit kognitiven Funktionseinschränkungen einhergehen können.

    Erfahrene Kinderanästhesisten und der Einsatz von Anästhesietechniken, bei denen Regional- und Lokalverfahren sowie Analgetika und Anästhetika kombiniert werden, verringern ein potentielles Risiko, wie Schuster und Becke betonen: „Es gibt bislang keine Evidenz, dass die Medikamente per se für Neugeborene, Säuglinge oder Kleinkinder mit einem erhöhten Risiko späterer neurokognitiver Defizite einhergehen“, betont Schuster.

    Quellen:

    Stratmann, G. et al.: Effect of General Anesthesia in Infancy on Long-Term Recognition Memory in Humans and Rats, Neuropsychopharmacology (Online-Veröffentlichung Juli 2014), doi: 10.1038/npp.2014.134

    Neurotoxizität durch Anästhetika? Stellungnahme der Dtsch. Gesellschaft für Anästhesie und Intensivmedizin (DGAI) vom 1. Juli 2014

    Becke, K. et al.: Anästhetika-induzierte Neurotoxität, Anästh Intensivmed 2012;53:706-710

    Allendorf, A. et al.: Follow-up of children with gastrointestinal malformations and postnatal surgery, vorgestellt auf der 40. Jahrestagung der Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin (26. bis 28. Juni 2014) in Bonn.

    Die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie
    Gegründet im Jahr 1963 schafft die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH) bis heute Grundlagen für eine bestmögliche kinderchirurgische Versorgung in Deutschland. Dazu gehören Neugeborenenchirurgie, allgemeine Kinderchirurgie und Kindertraumatologie ebenso wie Kinderurologie. Die DGKCH vertritt das Fach in allen wissenschaftlichen, fachlichen und beruflichen Belangen. Derzeit praktizieren hierzulande Fachärzte für Kinderchirurgie in mehr als 80 kinderchirurgischen Kliniken und Abteilungen sowie als Niedergelassene. Kinderchirurgie gehört in die Hände von Kinderchirurgen. Denn ihre Patienten sind keine kleinen Erwachsenen.

    – Bei Veröffentlichung Beleg erbeten. –

    Pressekontakt für Rückfragen:
    Dr. Adelheid Liebendörfer, Anna Julia Voormann
    Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH)
    Postfach 30 11 20
    70451 Stuttgart
    Tel.: 0711 8931-173
    Fax: 0711 8931-167
    E-Mail: liebendoerfer@medizinkommunikation.org, presse@dgkch.de


    Weitere Informationen:

    http://www.dgkch.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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